Netzinfrastruktur und Elektromobilität
15 Millionen Elektroautos sollen bis Ende 2030 auf Deutschlands Straßen unterwegs sein. Für die Luftqualität in den Innenstädten ist das eine gute Neuigkeit, aber wie siehts eigentlich mit der dafür nötigen Infrastruktur aus? Ist unser Stromnetz für derart viele stromhungrige Elektroautos überhaupt ausgelegt?
100 Terawattstunden mehr Stombedarf
Würde man von heute auf morgen sämtliche Verbrenner durch Elektroautos ersetzen, bräuchte man rund 100 Terawattstunden Strom im Jahr zusätzlich. Klingt nach einer gigantischen Menge, ist aber rund ein Sechstel des aktuellen jährlichen Strombedarfs in Deutschland und entspricht rund der Hälfte an Strom, die aktuell aus erneuerbaren Energien stammt.
Die Grafik zeigt: Die zusätzliche Belastung für das Stromnetz ist bei weitem nicht so schlimm, wie gerne suggeriert wird. Zudem ist der Stromverbrauch, nicht zuletzt wegen immer effizienteren Geräten, die im Haushalt eingesetzt werden, deutlich zurückgegangen.
Im Zuge dessen schreitet auch der Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich voran und macht. Der Anteil an erneuerbaren Energien im deutschen Strommix nimmt stetig zu.
In Anbetracht des fortschreitenden Ausbaus erneuerbarer Energien scheint der erhöhte Strombedarf als solches kein allzu großes Problem. Berücksichtigt man ferner, dass die Elektrifizierung ein schleichender, über Jahrzehnte andauernder Prozess ist, erscheinen die 100 zusätzlichen Terawattstunden abermals stemmbar.
Der Strombedarf ist also nicht das Problem, der Zeitpunkt schon eher: Elektroautos werden nämlich vor allem Abends, nach Feierabend an der heimischen Wallbox geladen.
Wallboxen – eine Art Belastungs-EKG fürs Stromnetz
Für das Stromnetz ist das Laden am Abend der denkbar ungünstigste Zeitpunkt. In vielen Haushalten läuft zu dieser Zeit nämlich auch der Herd. Im Tagesvergleich wird besonders deutlich, dass Abends am meisten Strom benötigt wird.
Das Wallbox-Rendezvous des Stromers ist aber nicht nur aufgrund seines Zeitpunkts für das Stromnetz gefährlich: Die Ladeleistung von (theoretischen) 11 bis 22 kW (die meisten Stromer werden in der Praxis mit deutlich weniger Leistung geladen) belastet das Stromnetz enorm.
Zum Vergleich: Einen solchen Stromhunger hat ansonsten lediglich der Herd, der sich im Schnitt rund 8kW genehmigt. Hiervon besonders betroffen ist der ländliche Raum.
E-Mobilität in ländlichen Raum
Der ländliche Raum ist in Hinblick auf das Thema Elektromobilität gewissermaßen die Achillesferse der Stromversorgung. Zwischen den einzelnen Verbrauchern liegen teils sehr große Distanzen, die ohne signifikanten Spannungsabfall überbrückt werden müssen.
Oliver Brückl, Professor für Energieverteilung in Regensburg, ist daher der Meinung, dass die ländlichen Mittelspannungsnetze in Anbetracht des E-Auto-Booms mittelfristig an ihre Grenzen kommen können. Vorstadtgebiete und der städtische Raum sind hingegen deutlich einfacher zu handhaben, weil sie im Vergleich aufnahmefähiger sind.
Um auch im ländlichen Raum mit einer halbwegs konstanten Spannung arbeiten zu können, gibt es sogenannte Strangregler. Dabei handelt es sich um Transformatoren, die je nach Bedarf ab- bzw. zugeschaltet werden können, um dem Spannungsabfall so entgegen zu wirken. Die Netzauslastung selbst bleibt davon allerdings unbeeindruckt. Die wiederum ist jedoch von entscheidender Bedeutung, geht es um Stabilität des Stromnetzes.
Im Gegensatz zum Elektroauto benötigt er diese Leistung aber nicht mehrere Stunden am Stück. Um das Netz vor dem drohenden Kollaps zu bewahren, gibt es nicht das eine Patentrezept. Vielmehr sind es viele kleine und große Ideen, die ihren Beitrag dazu leisten, dass es auch mit 30 Millionen Elektroautos auf Deutschlands Straßen nicht zur gefürchteten Netzüberlastungen kommen wird.
E-Autos und das Stromnetz: Damit soll das Netz entlastet werden
PV-Anlagen
Auch PV-Anlagen können für eine zusätzliche Entlastung des Stromnetzes sorgen. Das Kalkül ist einfach: Wer eine PV-Anlage auf dem Dach hat, belastet das Netz beim Laden seines Stromers nicht. Die Strom-Eigenproduktion lohnt sich auch finanziell, denn die Kosten pro 100 mit dem Elektroauto zurückgelegten Kilometer belaufen sich damit auf knapp zwei Euro – günstiger kann man praktisch nicht von A nach B kommen.
Netzdienliches Laden
Für ein stabiles Netz unabdingbar ist das sogenannte netzdienliche Laden. Gemeint ist damit das zeitlich flexible Laden von Elektroautos. Wer seinen Stromer Abends nach der Arbeit ansteckt, braucht ihn in der Regel erst am nächsten Morgen wieder. Ob er also um ein Uhr nachts oder um fünf Uhr Morgens voll geladen ist (besser wäre es übrigens, sein Elektroauto nur zu 90% zu laden, das schont den Akku), macht für den Komfort keinen Unterschied – für das Stromnetz jedoch einen ganz gewaltigen. So lassen sich nämlich Lastspitzen entzerren und das Netz schonen. Um zusätzliche Anreize für das netzdienliche Laden zu schaffen, sind auch variable Nutzungsentgelte im Gespräch. Würde man den Strom beispielsweise um zwei Uhr Nachts besonders günstig machen, könnten E-Auto-Fahrer, die ihr Fahrzeug sowieso über Nacht laden, besonders günstig „tanken“. Welche Hürden es hier aktuell noch gibt und mit welchen Entwicklungen man bald rechnen kann, haben wir hier zusammengetragen.
Bidirektionales Laden
Auch das bidirektionale Laden wird bei der Netzstabilität eine wichtige Rolle spielen, denn damit kann das Elektroauto nicht nur Strom aufnehmen, sondern auch abgeben. Auf diese Weise erhält man einen mobilen Pufferspeicher, der, mit anderen Pufferspeichern zusammengeschaltet, für ein stabiles Stromnetz sorgen kann. Welche Hürden es hier aktuell noch zu überwinden gibt und wie die Technik im Detail funktioniert, erklären wir hier.
Recycelte E-Auto-Batterien
Ganz ähnlich wie das bidirektionale Laden funktioniert auch der Pufferspeicher mit einer ausrangierten E-Auto-Batterie. Mit ausrangiert ist gemeint, dass die Kapazität der Batterie – und damit auch die Reichweite des Stromers – auf weniger als 80% seiner ursprünglichen Kapazität gefallen ist. Mit einer derart eingeschränkten Reichweite ist der Stromer für den Alltag nur noch bedingt zu gebrauchen und in der Regel liebäugelt sein Besitzer schon längst mit einem neuen Exemplar. Doch bis es soweit ist, dauert es zwischen acht und 10 Jahren und die Akkus haben in dieser Zeit ihre E-Autos zwischen 160.000 und 500.000 Kilometer weit bewegt. Dies ist auch der Grund warum die meisten Autobauer eine Akkugarantie von acht Jahren und 160.000 Kilometern, Lexus beim UX300e sogar 10 Jahre und eine Million Kilometer gewähren. Bevor der Akku aufwändig recycelt wird, ist es in vielen Fällen wirtschaftlicher und nachhaltiger, ihm ein zweites Leben als Hausspeicher zu gewähren. Tesla beispielsweise nennt diese Technologie „Powerball“. Mit einem derartigen System lassen sich Lastspitzen, ähnlich wie beim bidirektionalen Laden, einfach umgehen.
Die effiziente Lösung: Smart Grid
Unterm Strich gibt es also jede Menge clevere Ideen, wie man das Stromnetz entlasten und für den Ansturm der Stromer fit machen kann. Dabei reichen in vielen Fällen die bestehenden Ressourcen bereits aus – man muss sie nur clever genug nutzen.
Dass eine smarte Stromverteilung kein Hexenwerk ist, zeigen die intelligenten Steuerungen so mancher PV-Anlage heute schon. Verbraucher werden erst dann eingeschaltet, wenn die PV-Anlage genug Strom produziert, beziehungsweise im Begriff ist, ihre Überkapazität ins Stromnetz einzuschleusen.
Was hier im Kleinen auf eine effiziente und clevere Art bereits funktioniert, kann auch im Großen funktionieren. Wer das vorhanden Stromnetz derart intelligent nutzt, braucht kein überdimensioniertes „Goliath-Netz“, das zwar für sämtliche Belastungsspitzen ausgelegt ist, aber dafür auch Unsummen verschlingt. Ganz um den Ausbau der bestehenden Infrastruktur wird man freilich nicht umhin kommen. Schafft man es aber, den Ausbau aufgrund effizienter Nutzung so gering wie möglich zu halten, lässt sich hier locker eine zweistellige Milliardensumme, die im Falle des Goliath-Ausbaus anfallen würde, einsparen.
Stromnetz-Ausbau deutlich günstiger als geplant
Der Energieriese E.ON beispielsweise rechnet wegen der zunehmenden Beliebtheit von Elektroautos mit Mehrkosten für das Stromnetz von etwa 2,5 Milliarden Euro. Das ist etwas mehr als das Doppelte, das E.ON sowieso jährlich in den Erhalt seiner Netze steckt.
Das Beispiel E.ON ist längst kein Einzelfall und zeigt: Das Stromnetz für den E-Auto-Andrang fit zu machen kostet zwar Geld, ist aber finanzierbar. Die von den Elektromobilität-Nörglern gerne ins Feld geführten Billionensummen fallen für den Ausbau des Stromnetzes jedenfalls nicht an, dieses Argument kann man getrost ins Reich der Fabeln verweisen.
Netzbetreiber sorgen bereits vor
Dass immer mehr Elektroautos auf Deutschlands Straßen unterwegs sind, ist von den Netzbetreibern freilich bemerkt worden. Aus diesem Grund werden auch heute schon größere Kabelquerschnitte als nötig verlegt und Trafostationen so gebaut, dass, wenn es nötig werden sollte, weitere Trafos ganz einfach hinzugebaut werden können. Damit wollen es die Netzbetreiber vermeiden, dass neu gebaute Straßen nicht kurze Zeit später wieder aufgerissen werden müssen.
Elektroauto FAQs
Wie weit kommt man mit einer Batterieladung?
Wie weit man mit einem Elektroauto kommt, hängt von vielen Faktoren wie der Batteriekapazität und der Witterung ab. Mit einem durchschnittlichen Elektroauto kann man aber mit einer Reichweite von 400 Kilometern rechnen, manche Modelle schaffen auch deutlich mehr. Mercedes hat im Januar 2022 den Vision EQXX mit einer WLTP-Reichweite von 1.000 km vorgestellt. Hierfür wurden aber keine tonnenschweren Monster-Batterien verwendet, sondern lediglich eine Batterie mit 100 kWh, also einer Größe, wie sie bereits seit vielen Jahren im Tesla Model S angeboten wird.
Wieviel weniger Reichweite hat man im Winter?
Im Winter reduziert sich die Reichweite eines Stromers um rund 20-30%. Grund hierfür ist der Innenwiderstand der Batterie, der größer wird, je kälter es draußen ist und natürlich der Betrieb zusätzlicher Verbraucher, wie die Innenraumheizung des Fahrzeugs.
Gibt es genug Ladesäulen?
Ja, in Deutschland gibt es derzeit rund 70.000 Ladepunkte. Tankstellen gibt es übrigens rund 15.000. Das Problem bei den Ladesäulen: es gibt sie noch nicht überall. In den Großstädten und drum herum ist das Netz schon gut ausgebaut. Abseits der großen Verkehrsadern fehlen allerdings noch Ladesäulen. Der Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur ist allerdings von öffentlichem Interesse und die Politik kümmert sich bereits seit einigen Jahren darum.
Wie lange dauert das Laden eines Elektroautos?
Hier kommt es natürlich auf die Größe des Akkus an und wie viel Strom „nachgetankt“ werden soll. Als Faustregel gilt: Wer es eilig hat, der lädt seinen Akku nur bis zu einem Ladestand von rund 80%. Überschreitet man die Marke von 80%, wird der Strom deutlich langsamer in den Akku gepumpt. Mit vielen Elektroautos dauert an einer Schnellladestation der Ladevorgang von 20% auf 80% nur etwa 20 Minuten. Wirklich viel Zeit benötigt man nur für die letzten 20% – wie so oft im Leben.
Ist Schnellladen schädlich für den E-Auto Batterie?
Schnelles Laden steht im Verdacht, die Lebenszeit des Akkus zu verkürzen. Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht, denn es handelt sich hier um eine starke Belastung für den Akku. Hier wurden in den letzten Jahren aber große Fortschritte gemacht. Moderne Schnellladetechnologien sind daher deutlich schonender für den Akku. Dennoch sollte man, wenn man beispielsweise sowieso über Nacht lädt, auf die Schnellladefunktion verzichten.
Was machen, während das Elektroauto lädt?
20 Minuten sollte man für den Ladevorgang mindestens einplanen. Nur was macht man in dieser Zeit? Wer regelmäßig an einer öffentlich zugänglichen Ladesäule lädt, der wird vor allem auf den obligatorischen Kaffee zurückgreifen. Koffeinkonsum allein ist aber recht fad. Dabei gibt es auch deutlich spannendere Möglichkeiten. Wandern in der Umgebung ist ebenso möglich wie ein gutes Buch lesen, oder aber einfach mal die Seele baumeln lassen.
Kann man mit einem Elektroauto in den Urlaub fahren?
Ja. Mit dem Elektroauto in den Urlaub zu fahren ist kein Problem. Solange man ein paar Kleinigkeiten beachtet. So sollte man darauf achten, dass auf dem Weg zur Wunschdestination genug Ladesäulen (am besten Schnellladesäulen) vorhanden sind. Mehr zum Thema gibt es hier.